Eine Betrachtung aus baukonstruktiver Sicht

„Der Umgang mit originaler oder verlorengegangener Substanz an und in historischen Bauwerken ist ein lebendiger Diskurs in der modernen Denkmalpflege. Etliche Beispiele von Erhalt, Instandsetzung, Wiederaufbau oder Rekonstruktion bezeugen seit Jahrhunderten einen äußerst vielfältigen Umgang …“ (Zitat von der Homepage der Deutschen Stiftung Denkmalschutz zum Aktionstag)

Mit diesem Beitrag zum Tag des offenen Denkmals wollen wir zeigen, wie unterschiedlich mit originaler und verlorengegangener Substanz umgegangen werden kann, wie sich Sanierung und Rekonstruktion am Beispiel dieses Denkmals aus baukonstruktiver und materieller Sicht entwickelt haben.

Zur Aufgabenstellung: Die Fassaden dieses Mehrfamilienwohnhauses mit erdgeschossiger Ladeneinheit waren unter Berücksichtigung denkmalrechtlicher Interessen Instand zu setzen. Baurechtliche Belange wurden nicht berührt. Die Instandsetzung klammerte Arbeiten am Dach aus, ebenso wesentliche Arbeiten an Fenstern und Türen, welche jeweils lediglich einen Sanierungsanstrich erhalten sollten. Ziel sollte sein, Fehler der letzten Sanierung zu beheben.

Das Denkmal befindet sich in der Altstadt Hameln, Wendenstraße 19 und ist eingebettet in einem Straßenzug aus Fachwerkhäusern. Nach Baualtersplan ist das Gebäude im Zeitalter der Renaissance erstmalig errichtet worden. In dieser Zeitepoche wurde die Entwicklung des Fachwerks weitestgehend mit Einsatz von Zapfenverbindungen, Schwellen, Sockelausbildung und Streben - so wie wir Fachwerk heute kennen – konstruktiv abgeschlossen. Änderungen sind ab dann in gestalterischen und dekorativen Elementen zu finden. Das Gründungsjahr ist nicht datiert, könnte aber im frühen 17. Jahrhundert liegen, sofern die Schnitzkunst bauzeitlich ist.

Wie viele der im Rahmen der Hamelner Altstadtsanierung von 1968 bis 1992 behandelten Gebäude zeigte auch dieses Denkmal einen erneuten Sanierungsbedarf auf. Aufgrund der damaligen Verwendung von aus heutiger Sicht nicht mehr fachgerechten Baustoffen, Materialien und Farben in Verbindung mit unterlassenen Erhaltungsmaßnahmen und Wartung musste eine fachgerechte Sanierung weit über einen reinen Wiederholungsanstrich hinausgehen. Die Problematiken waren nach erster oberflächiger Sichtung der straßen- und einsehbaren hofseitigen Fassaden wie folgt erkennbar:

Am Fachwerk:

  • Würfelbruch aufgrund Staunässe an den Flanken, insbesondere an konstruktiv eher ungeschützten Hölzern z.B. unter zu schmalen Fensterbänken oder im Schwellenbereich; vermeintliche Versiegelungen zwischen Holz und Gefach, hygroskopische Zementputzflächen auf hart gebranntem Tonziegel verstärkten den Effekt;
  • Moderfäule im Fachwerk, die dazu führte, dass das Holz außenseitig auf den ersten Blick in Ordnung schien, innenseitig jedoch bereits hohl lag und sich deswegen im zweiten Blick nach außen wölbte;
  • Einsatz von Holzersatzmassen und Dichtstoffen mit fachwerkunspezifischen Oberflächenstrukturen. Teilweise waren die Ersatzmassen über Fachwerkstöße gezogen worden, so dass diese die Spachtelmasse wieder aufgerissen hatten; 
  • Ersatz einer Teilschwelle durch geputztes Mauerwerk;

Am Gefach:

  • Abgelöste, fehlende Putzflächen;
  • Verwitterte, versandete, veralgte bzw. verschmutzte sowie lückenhafte Putzflächen;

Gegenüber der Planung hat sich jedoch ein deutlicher Mehraufwand nach dem Sandstrahlen abgezeichnet. Der Schein trügte. Viele Fachwerkhölzer waren massiv geschädigt. Beide Spruchbalken in der straßenseitigen Südfassade waren nicht mehr zu sanieren und mussten ausgetauscht werden.

Dabei wurde auch festgestellt, dass das Fachwerk in voran gegangener Sanierung 1983 als nicht tragendes Blendwerk vor einen Massivbaukörper (bestehend aus Mauerwerkswänden sowie Stahlbetondecken- und Balken) gestellt wurde. Eine vorgetäuschte Wirklichkeit. Der Zwischenraum zwischen diesem Blendwerk und dem massiven Baukörper wurde teilweise ausgeschäumt.

Wenn auch die letzte Sanierung mit bestem Wissen und Gewissen ausgeführt worden mag, so muss aus heutiger Sicht bemerkt werden, dass damals leider das Fachwerk unfachmännisch und mit ungeeigneten Materialien saniert wurde.
Es wurde sehr viel mit Bauschaum und Steinersatzmasse modelliert. Die meisten Fachwerkschäden haben darin in Verbindung mit diffusionsdichten Beschichtungen und Silikonversiegelungen ihren Ursprung. Dieser Materialmix ist dafür verantwortlich, dass die Fassade in den letzten 35 Jahren mehr geschädigt wurde als in der gesamten Zeit zuvor. 

Anhand Bilder derselben Situation wird der Altbestand, der Zustand nach dem Sandstrahlen, während der Fachwerksanierung und mit Fertigstellung aufgeführt. Zwei Schwerpunkte sind exemplarisch thematisiert:

  1. Auswechselung von Fachwerk,
  2. Ausbesserung von Fachwerk.

Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Erhalt und dem Bewahren von Originalsubstanz, dem Sein.

Die Auswechselung von Fachwerk war nicht geplant. Aufgrund der Kaschierung mit Bauschaum und Holzersatzmasse vor dem Sandstrahlen auch nicht ersichtlich. Es mussten dann aber die Stockwerksschwellen mit ihren Spruchbändern zu ca. 80% ausgewechselt werden. Die Spruchbänder wurden in der Werkstatt nach zuvor abgenommener Schablone  ausgefräst und sodann auf den neu eingesetzten Eichenschwellen befestigt. Einige in letzter Sanierung eingesetzten Fachwerkhölzer waren minderer  Qualität und durch holzzerstörende Schädlinge zersetzt. Aktiver Schädlingsbefall wurde nicht mehr festgestellt.

Alle Arbeiten werden von fachlich versierten und in der Fachwerksanierung erfahrenen Handwerkern aus der Region ausgeführt. Die Fachwerksanierung wurde unter Einhaltung einer Kostenobergrenze mit ca. 4 Wochen Verzögerung nach ca. 2,5 Monaten Gesamtbauzeit erfolgreich abgeschlossen.

Fotogalerie der Wendenstraße 19

Text und Bilder zur Verfügung gestellt von "architekturbüro hertrampf + brokate"